Warum haben wir keinen eigenen Anrufbeantworter?

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Und? Job Journey richtig gemappt? Oder eher Overload? Dann am besten neu framen. – Wann haben wir eigentlich damit aufgehört, uns für neue Dinge eigene Begriffe auszudenken? War es 1963, als die Zeitung Die Zeit das Wort „Anrufbeantworter“ zum vielleicht ersten Mal verwendete? Hier war dem Übersetzer Null anscheinend entgangen, dass das englische Verb „to answer“ nicht nur (be)antworten, sondern auch abnehmen, rangehen, aufmachen und auf etwas eingehen bedeuten kann, wenn es nämlich um Telefone, Haustüren oder Anfragen geht. Inzwischen gibt es die Mailbox und der Fehler ist raus, das Englische allerdings nicht.

Einem falschen Freund ist auch ein Mediziner auf den Leim gegangen, als er in den Achtzigerjahren zum ersten Mal „evidenz-basiert“ übersetzt hat, was sich invasiv in weiteren Wissenschaften breit gemacht hat. Aber im Deutschen ist evident, was klar und einleuchtend ist; das englische „evident“ bezieht sich hier auf Belegbarkeit. Demnach ist „nachweisorientiert“ die richtige Übersetzung, nur hat sie sich nicht durchgesetzt. Offenbar ist es zu spät, einen solchen Begriff zu korrigieren, wenn er erst einmal eine Kuhle ins Sofa des Sprachgebrauchs gesessen hat. 

Klar, mancher Sprachimport leuchtet uns an im Glanz des Englischen, sodass wir ihn mit demselben Wort auch haben wollen, denn sonst ist es nicht dasselbe. Ein Tablet ist eben ein Tablet. Klar ist auch, dass einheitliche Begrifflichkeiten die Dinge einfacher machen in einer zusammengewachsenen Welt, und auch, dass die Übersetzer bei der Flut neuer Entwicklungen in Technik und Wissenschaft schlicht überfordert sind. Manches lässt sich zumindest einigermaßen übertragen wie das Wischen auf dem Tablet, das Herunterladen und Speichern. Natürlich kann auch das schiefgehen, siehe herunterbrechen (statt aufschlüsseln) oder lahm als lahme Übernahme des amerikanischen Jugend-Slang-Worts „lame“.

Falsche Freunde, eingenistet, und Nachgeplapper aus dem Englischen ‑ derzeit fast unsere einzige Quelle für Neuzugänge – lassen den Geist neugierig in die Geschichte zurückblicken. Zum Beispiel zu den Mystikern, die das Unsagbare auf Deutsch „gewortet“ haben wollten, das sie, wenn überhaupt, nur aus dem Lateinischen kannten. Seitdem leuchten uns Dinge ein, wir sind empfindlich geworden und Dinge sind uns anschaulich; wir haben wesentliche Eindrücke und dies sind bloß Beispiele für den Einfluss der gebildeten Mystiker, die uns auch die Endungen Heit und Keit, Ung und Lich geschenkt haben. Und das All.

Denken wir zur Inspiration auch an fünf große deutsche Wortschöpfer der nach-mystischen Zeit, angefangen bei Luther, den Christian Feldmann in der FAZ mit konservativ-überschwänglicher Verve den „genialsten Sprachschöpfer aller Zeiten“ nennt, weil er uns beutelweise Kleinodien wie Machtwort, Schandfleck und Lückenbüßer gebracht hat. Erst seit Luther beißen wir die Zähne zusammen, bauen auf Sand und tappen im Dunklen – beziehungweise eben nicht mehr. Weniger bekannt ist heute Justus Georg Schottel, der um 1663 seine grammatische Terminologie prägte und Wörter wie Mundart, Wurzel, abwandeln und Ableitung in die Sprache einführte. Philipp von Zesen (starb 1689) gab uns unter anderem die Bücherei, den Gesichtskreis und die Vollmacht. Im frühen 19. Jahrhundert stach Joachim Heinrich Campe heraus, dem es ein erfolgreiches Anliegen war, Fremdwörter zu ersetzen – er hätte sich niemals mit einem Anrufbeantworter abgefunden! Auf ihn und seinen Einfluss gehen zum Beispiel die Esslust (Appetit) zurück, das Zerrbild (Karikatur), der Kreis- und Umlauf (Zirkulation), der Freistaat (Republik), der Bittsteller (Supplikant) und das Stelldichein (Rendezvous). Im gleichen Geist erfand Turnvater Jahn die Besprechung für die Rezension.

Ich frage mich, warum heutzutage das Nachkriegswort „Heimwerken“ funktioniert, das Wort „Heimarbeit“ aber nicht. Das klingt altbacken und man denkt an Krabbenpuler oder Leute, die Kugelschreiber zusammenbauen. Wir sagen auch nicht „Tele-Arbeit“, nein, das „Homeoffice“ soll es sein. Schaut man auf die Listen neuer Wörter im Deutschen, findet man wenig Schönes, Elegantes oder Praktisches. Merkeln für „lavieren, untätig sein“ ist griffig. Kürzlich hörte ich im Radio verimpfen (ein Kontingent), das ist hübsch. Der Hamsterkauf kam kürzlich wieder auf, aber der stammt schon aus dem Kohlrübenwinter 1916. Ich glaube, man kann trainieren, für Dinge selbst Wörter zu finden. Wahrscheinlich fallen uns im Alltag sogar oft welche ein, die wir aber schnell vergessen, um auf den gewohnten Gleisen zu bleiben und nicht aufzufallen, auch uns selbst nicht. Man könnte sich ja eine Blöße geben, wie die Kinder, die ständig Wörter erfinden, als sei es das Normalste auf der Welt.

Ich jedenfalls habe kürzlich das Wort Stildämpfung verwendet, um auszudrücken, dass man in bestimmten Situationen nicht zu eloquent oder zu individuell schreiben sollte. Und in einer E-Mail: „Man bekommt dort eine Überschrift und ein Machmal.“ Aus dem Arabischen habe ich einmal das Wort Taqriib (Näherbringung) übernommen, um Techniken zu erklären, die bestimmte Situationen und Zustände begünstigen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass man für gute neue Wörter drei Dinge braucht: den angeborenen Muskel, den man trainieren kann, die soziale Umgebung, die selbstgemachte Wörter zulässt, und das Allerwichtigste: das Neue …   

Quellen:

Zum Anrufbeantworter: „Man kann nun auch getrost das Telephon allein lassen: Es gibt […] den Anrufbeantworter. Er gibt, wenn sein Herr nicht da ist, selbständig Auskünfte (die vorher auf Tonträger gespeichert worden sind) und fordert den Anrufenden auf, 30 Sekunden lang seine Wünsche zu erzählen. [Die Zeit, 18.10.1963, Nr. 42]“ via https://www.dwds.de/wb/Anrufbeantworter

Zu den Mystikern: Peter von Polenz (200910), Geschichte der deutschen Sprache, de Gruyter, S. 52ff. Zu von Zesen S. 104, zu Campe/Jahn S. 108.

Zu Luther, dem genialsten Sprachschöpfer aller Zeiten, siehe FAZ, 12.06.2017: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/viele-redewendungen-gehen-auf-martin-luther-zurueck-15045825.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2